Dehnen/Beweglichkeit – Kurzüberblick

Das Thema Dehnen wird in der Sportwissenschaft kontrovers diskutiert, in der Literatur sind sehr viele verschiedene Meinungen und Aussagen aufzufinden.

Im folgenden Artikel werden die verschiedenen Dehnmethoden vorgestellt. Weiters wird eine selbst durchgeführte Studie, bei der zwei Methoden verglichen werden, präsentiert.

Dehnmethoden


(Page, 2012)

Grundsätzlich gibt es drei Dehnmethoden:

Diese Dehnmethoden kann man, wie auf der Abbildung zu sehen ist, weiter unterteilen.

- Statisches Dehnen:

Eine Position wird über einen gewissen Zeitraum statisch gehalten. Dies kann aktiv oder passiv mit Hilfe eines Partners bzw. Hilfsmittel (z.B. Bänder oder Dehnstationen) durchgeführt werden. Diese Methode ist jene, die am meisten genutzt wird, wenn vom klassischen Dehnen gesprochen wird.

- Dynamisches Dehnen

Wie auf der Grafik zu sehen, wird dynamisches Dehnen in aktiv und ballistisches dehnen unterteilt. Beim ballistischen Dehnen werden in der Endposition wippende Bewegungen durchgeführt. Bei der zweiten Methode wird ein Gelenk mit mehreren Wiederholungen über das volle Bewegungsausmaß, auch „range of motion“ (ROM) genannt, bewegt.

- Pre-Contraction Dehnmethoden

Bei Pre-Contraction Methoden werden bestimmte Muskelgruppen angespannt und im Anschluss entspannt, um eine bestimmte Dehnposition zu erweitern. Diese Methode wird in viele Untermethoden aufgeteilt, die bekannteste ist die sogenannte PNF (=Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) Methode, bei der ein Muskel bewusst für einige Sekunden angespannt und anschließend entspannt wird. Hier ist das Ziel in der Entspannungsphase das Bewegungsausmaß zu erweitern.

Die am häufigsten verwendeten Methoden sind das statische und dynamische Dehnen.

Wirkungsmechanismen – warum werden wir durch Dehnen beweglicher?

Dehnen kann kurzfristige Effekte, sprich direkt nach der Dehnung, oder langfristige Effekte über eine gewisse Trainingsperiode bewirken.

Grundsätzlich wirkt Dehnen laut Literatur auf drei Ebenen:

- Biomechanisch

Durch eine kurzfristige Verlängerung der Sarkomere (kleinste Einheit im Muskel) kommt es laut Literatur womöglich zu einer Längenzunahme des Muskels, diese ist jedoch nur kurzfristig.

Allerdings limitiert nicht nur der Muskel die Beweglichkeit, sondern andere Strukturen wie Sehnen, Bänder, Nerven, Faszien und Kapseln. Demnach müssen beim Beweglichkeitstraining alle Strukturen berücksichtigt werden.

- Psychophysiologisch

Durch den entspannenden Effekt einer Dehnung wird der Muskeltonus verringert und so wird der Muskel flexibler. Der verringerte Muskeltonus bleibt, wie viele andere Effekte, ebenfalls nur kurzfristig. Der verringerte Muskeltonus ist einer der Hauptgründe warum laut Literatur nach statischen Dehnungen eine verringerte Leistungsfähigkeit zu erwarten ist.

Zusätzlich wird die Dehntoleranz erhöht.

- Neurophysiologisch

Das zentrale Nervensystem hat einen hohen Einfluss auf die Beweglichkeit. Durch Hemmung von Reflexaktivitäten in der Muskulatur kann der Bewegungsumfang erhöht werden. Bei langen statischen Dehnungen werden beispielsweise manche Reflexaktivitäten nach einer gewissen Zeit „ausgeschalten“, da die Position für den Körper keine Gefahr mehr darstellt.

Welche Dehnmethode ist die beste?

Die Antwort lautet wie bei vielen Trainingsmethoden: Es hängt von der Zielsetzung ab!

Die aktuelle Studienlage tendiert dazu, dass durch PNF Dehnmethoden die Beweglichkeit am effektivsten gesteigert werden kann.

Wichtig: Studienergebnisse variieren von Methodik zu Methodik, daher gibt es viele verschiedene Ergebnisse. Je spezifischer die Testungen an einer Dehnmethode, desto besser sind die Effekte: Die dynamische ROM verbessert sich demnach mit dynamischen Dehnmethoden mehr, während sich die statische ROM mit statischen Tests mehr verbessert.

Beim Aufwärmen sollten lange statische Dehnmethoden vermieden werden, da diese einen leistungsmindernden Effekt haben können.

Vergleicht man statisches mit dynamischem Dehnen, so scheint statisches Dehnen eine besser kurzfristige Steigerung der Beweglichkeit zu bewirken.

Die Langzeiteffekte sind unklar, hier ist die Studienlage sehr verschieden und hängt wie bereits erwähnt von der Methodik ab. Die durchgeführten Übungen sollten sich an der jeweiligen Sportarten / Zielbewegung orientieren – sowohl in der Übungsauswahl, als auch in der Durchführung (statisch oder dynamisch).

Aber: Alle Methoden erhöhen die ROM effektiv!

Eigene Studie

„Effects of static vs dynamic stretching on flexibility”

Da die Studienlage darauf hinweist, dass die PNF Methode die effektivste aller Dehnmethoden ist, wurden in dieser Studie nur aktives dynamisches dehnen mit statischem dehnen verglichen. Weiters sind dies die beiden gängigsten Methoden. Kontrolliert wurden dabei lediglich die Auswirkungen auf die statische Beweglichkeit.

Die Probandenanzahl war mit 13 Personen sehr gering, es handelt sich also um eine kleine Studie. Die Personen wurde in zwei Dehngruppen und in eine Kontrollgruppe eingeteilt.

Untersucht wurden die Beweglichkeit der Wadenmuskulatur, der hinteren Oberschenkelmuskulatur sowie der vorderen Oberschenkelmuskulatur (knees to wall test, sit and reach, Ely`s test). Eine Gruppe führte ein statisches Dehnprogramm über 6 Wochen durch, eine Gruppe ein dynamisches Dehnprogramm. Die Kontrollgruppe führte kein Dehnprogramm durch. Das Programm bestand aus drei Übungen, die der Zielbewegung sehr ähnlich waren. Jede Dehnung wurde drei Mal pro Woche für 2x50 Sekunden durchgeführt. Während die statische Dehngruppe in der Endposition blieb, ging die dynamische Gruppe über die 50 Sekunden mehrmals langsam in die Endposition und wieder zur Startposition (ca. 5 Sekunden / Wiederholung).

Zusammengefasst hat sich die Gruppe, die statisches Dehnen durchführte, minimal mehr verbessert als jene Gruppe, die dynamisch gedehnt hat. Dies liegt höchst wahrscheinlich daran, dass die Testungen die statische Beweglichkeit untersuchten. Fraglich ist, ob die statische Gruppe die erhöhte Beweglichkeit in dynamische Bewegungen transferieren kann. Bei der dritten Gruppe, welche als Kontrollgruppe diente, zeigten sich erwartungsgemäß keine Veränderungen.

Zusammenfassung

Wie bei allen anderen Trainingsmethoden gilt: Auch beim Dehnen sollte ein Ziel definiert werden, um die Trainingsplanung effektive gestalten zu können.

Anhand der aktuellen Studienlage können folgende Empfehlungen gegeben werden:

- Beim Warm-Up lange, statische Dehnmethoden vermeiden (Außer es handelt sich um eine Sportart, bei der die Muskulatur extrem beweglich sein muss und kaum Kraft- oder Schnelligkeitsleistungen braucht)!

- Ist das Ziel eine erhöhte Beweglichkeit, sind alle Methoden wirksam, die PNF Methode ist laut Literatur wohl die effektivste.

- Neben Dehnen gibt es auch andere Methoden zur Verbesserung der Beweglichkeit: z.B. Foam rolling / Massagen zur kurzfristigen Steigerung oder langfristig Krafttraining über die volle ROM.

- Dehnt man für eine bestimmte Sportart, so sollte man sich immer an den Anforderungen der Sportart orientieren (beispielsweise Grätschen als Fußballtormann, Sprunggelenksstreckung bei Schwimmern …)

- Man sollte immer die optimale, nicht die maximale Beweglichkeit anstreben (ein zu viel an Beweglichkeit kann sich auch negativ auswirken – z. B. durch erhöhte Verletzungsanfälligkeit)

- Für einen schnellen Erfolg empfehlen Thomas et al. (2018) nach einer Metaanalyse eine Dehnzeit von 5 Minuten statisch pro Muskelgruppe pro Woche, im Idealfall auf mehrere Tage verteilt (z.B. 5x pro Woche jeweils 2x30 Sekunden).

Einige von vielen interessanten Quellen:

Behm, D. (2018). The science and physiology of flexibility and stretching: implications and applications in sport performance and health: Routledge. -> Hier vor allem die Geschichte des Dehnens!

Freiwald, J. (2013). Optimales Dehnen: Sport-Prävention-Rehabilitation: Spitta

Knudson, D. (2006). The biomechanics of stretching. Journal of Exercise Science Physiotherapy, 2, 3- 12

Thomas, E., Bianco, A., Paoli, A., & Palma, A. (2018). The relation between stretching typology and stretching duration: the effects on range of motion. International journal of sports medicine, 39(04), 243-254


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Autor: Alexander Wassung 

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